SPNV-Vergaben
Seit der Bahnreform 1994 und der Liberalisierung des Eisenbahnverkehrs gibt es Wettbewerb im Schienenverkehr. Leistungen im SPNV werden im Rahmen formeller Ausschreibungen vergeben.
Die Vergabe von SPNV-Leistungen erfolgt zunehmend im Rahmen europaweiter Ausschreibungsverfahren. Zielsetzung der Aufgabenträger ist hierbei, mögliche Kostenvorteile durch wettbewerbsbedingte Ausschreibungsgewinne in vollem Umfang für die Verbesserung des SPNV zu nutzen. Hierbei wird entweder eine solitäre Strecke oder ein betrieblich zusammenhängendes Teilnetz ausgeschrieben.
Ausgangslage
Im Zuge des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG), das den diskriminierungsfreien Zugang zur Eisenbahninfrastruktur regelt, und dem Regionalisierungsgesetz des Bundes (RegG), das die Verantwortung für Planung, Organisation und Ausgestaltung des Schienenpersonennahverkehrs regelt, sind bundesrechtlich die Voraussetzungen für den Wettbewerb im SPNV geschaffen worden.
Das Regionalisierungsgesetz des Landes NRW (ÖPNVG NRW) delegiert die Verantwortung für den SPNV an drei regionale Zweckverbände, die als Aufgabenträger die Verkehrsleistungen bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen bestellen. Die Zweckverbände werden hierzu mit Mitteln zur Bestellung von SPNV-Leistungen ausgestattet (siehe SPNV-Pauschale).
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) regelt in § 131 die Vergabe von Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr.
Akteure
In NRW erbringen im Fahrplanjahr 2022 seit September insgesamt 15 Eisenbahnunternehmen (EVU) Verkehrsleistungen im SPNV:
Arriva Personenvervoer Nederland B.V.
DB Regio AG, Region NRW (DB)
(Hinweis: Auf verschiedenen Strecken in NRW erfolgt die Betriebsführung durch weitere Verkehrsunternehmen, u.a. Kurhessenbahn (DB RegioNetz Verkehrs GmbH), Details siehe Übersicht der SPNV-Linien im ITF NRW(PDF)),eurobahn GmbH & Co. KG - (ERB),
Hessische Landesbahn GmbH (HLB),
National Express Rail GmbH (NX)
NordWestBahn GmbH (NWB),
REGIOBAHN Fahrbetriebsgesellschaft mbH (Regiobahn),
Regionalverkehre Start Deutschland GmbH,
Rurtalbahn GmbH (RTB),
Société nationale des chemins de fer belges (SNCB),
Transdev Hannover GmbH
Transdev Rhein-Ruhr GmbH
trans regio Deutsche Regionalbahn GmbH (TR),
VIAS Rail GmbH (VIAS),
WestfalenBahn GmbH (WFB).
Im Jahr 2021 waren rund 93 % (rund 108 Mio. Zug-km/a) der rund 116 Millionen gefahrenen Zugkm/a in NRW im Rahmen von Wettbewerbsverfahren vergeben. Der DB-Konzern hat auch im Jahr 2021 weiterhin die mit Abstand meisten Zugkilometer in NRW betrieben. Der Leistungsanteil war jedoch mit knapp 44 % der niedrigste Wert seit Erfassung der Daten. Abellio war das EVU mit dem zweithöchsten Anteil in NRW (19 %). Drittgrößter Anbieter von SPNV-Leistungen in NRW war das Unternehmen eurobahn (ERB) mit 13,4 %.
Seit Februar 2022 ist es durch den Übergang der bis dahin von Abellio betriebenen SPNV-Linien auf andere Unternehmen zu deutlichen Verschiebungen in den Leistungsanteilen der in NRW aktiven SPNV-Verkehrsunternehmen gekommen. Durch die Notvergabe haben die DB, National Express und VIAS Leistungen hinzugewonnen. Hinter der DB ist jetzt National Express das EVU mit dem zweithöchsten Anteil an Zugkilometern in NRW.
Weitere Tabellen und Übersichten:
SPNV-Strecken in NRW mit laufendem bzw. geplantem Vergabeverfahren
Streckengrafiken von abgelaufenen Fahrplanperioden: 2022 (ab Feb.) (PDF), 2022 (bis Jan.) (PDF), 2021 (PDF) , 2020 (PDF), 2019 (PDF), 2018 (PDF), 2017 (PDF), 2016 (PDF), 2015 (PDF), 2014 (PDF), 2013 (PDF), 2012 (PDF), 2011 (PDF), 2010 (PDF)
Probleme und Aufgaben
Während in den Anfangsjahren des SPNV-Wettbewerbs insbesondere kleinere Dieselnetze ausgeschrieben wurden, werden seit etwa 2007 verstärkt Leistungen mit Elektrotraktion auf Hauptstrecken (zum Teil schwere lokbespannte Wagenzüge) ausgeschrieben und vergeben. Hintergrund ist die Entwicklung des Wettbewerbsmarkts, da zwischenzeitlich ausreichend viele Unternehmen in der Lage sind, den Betrieb großer Netze mit höheren technischen Anforderungen anzubieten.
Die derzeitige Marktsituation ist relativ ausgewogen. Neben der Deutschen Bahn konnten sich große private Verkehrskonzerne – z. B. Transdev (vormals Veolia) und Keolis – sowie kommunale Unternehmen (z. B. Regiobahn) und private mittelständische Unternehmen mit kommunaler Beteiligung (z. B. Rurtalbahn GmbH) im Markt behaupten. Jüngere Marktentwicklungen zeigen jedoch eine zunehmende Konzentration der Anbietenden auf wenige international operierende Konzerne, die entweder mehrheitlich durch die europäischen Staatsbahnen bestimmt sind (z. B. Abellio > Nederlandse Spoorwegen (NS)) oder Beteiligungen großer internationaler Mischkonzerne (z. B. NWB > Transdev, trans regio > Transdev) darstellen. Es ist davon auszugehen, dass sich mittelständisch strukturierte Unternehmen in kommunaler oder rein privater Trägerschaft nur in Marktnischen des SPNV-Markts behaupten können.
Für „Newcomer“ besteht im Fall großer Netze, in denen mit „schwerem Material“ gefahren werden muss, nach wie vor ein recht hohes Markteintrittsrisiko, da im Fall des Zuschlags erhebliches Kapital für die Fahrzeugbeschaffung gebunden wird. Das Aufkommen international operierender Leasinggesellschaften auf dem deutschen Markt hat diese Situation zunächst entschärft, aber mit der Finanzkrise Ende der 2000er Jahre hat die Bedeutung dieses Modells deutlich abgenommen. Um den Wettbewerbsmarkt zukünftig zu sichern („ausreichende Anzahl Bietende am Markt“), haben die Aufgabenträger in NRW begonnen, die Fahrzeuge selbst zu finanzieren und sie anschließend dem Betreibenden für den Fahrbetrieb zur Verfügung zu stellen (vgl. RRX-Modell). Neben dem oben genannten Fahrzeugmodell tragen Bruttoausschreibungen bzw. Mischmodelle mit garantierter Fahrgeldeinnahme oder aber auch nur Aufwandsentschädigungen für die sehr hohen Kosten der Bietenden während der Angebotsphase zur Stimulierung des Wettbewerbs bei.
Nach der Wettbewerbstheorie kann der Aufgabenträger durch die Ausschreibung von Leistungen wettbewerbsbedingte Kostenvorteile erzielen. Erfahrungen aus dem Ausland (v.a. Skandinavien) belegen jedoch, dass sich diese in anfänglicher Höhe erzielten Vorteile mit zunehmender Marktentwicklung nicht dauerhaft realisieren lassen. Diese Entwicklung wurde auch im deutschen SPNV in den letzten Jahren zunehmend erkennbar.
In jüngster Zeit beklagen die Eisenbahnverkehrsunternehmen in NRW wirtschaftliche Nachteile u.a. durch deutlich gestiegene Personalkosten, die von den vertraglichen Preisindizes nicht abgedeckt werden, und steigende Baustellenfolgekosten aufgrund erhöhter Bautätigkeit im Schienennetz. Die SPNV-Aufgabenträger haben daher Verhandlungen mit allen EVU zur Anpassung der Verkehrsverträge aufgenommen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat u.a. zur Finanzierung dieser Vertragsanpassungen im Oktober 2021 rückwirkend zum 1. Januar 2021 die SPNV-Pauschale erhöht.
Um seine Vorteile zu entfalten, bedingt das System „SPNV“ eine vollständige Verzahnung aller angebotenen Leistungen, was im Bereich der Fahrplanung durch den Integralen Taktfahrplan NRW (ITF) sowie im Tarifbereich durch die Verbundtarife und den NRW-Tarif bereits sichergestellt ist. Zunehmend wird jedoch erkennbar, dass unternehmensbezogenes Marketing, unternehmensbezogene Fahrgastinformation oder die Vertriebsvoraussetzungen für Tickets (mit Ausnahme der Verbundtarife) dieser Verzahnung entgegenstehen und zu negativen Auswirkungen unmittelbar auf den Kund*innenmarkt führen können. Aufgabenträgern, Verkehrsverbünden sowie den Eisenbahnverkehrsunternehmen kommt daher die Aufgabe zu, neben Fahrplan und Tarif auch in Feldern wie der Echtzeitinformation über Verspätungen oder dem Ticketvertrieb unternehmensübergreifende Lösungen gegenüber den Kund*innen vorzuhalten.