Praktische eTicketing-Systeme sind im Nahverkehr immer mehr auf dem Vormarsch. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt diese Entwicklung.
Beim elektronischen Ticketing werden die Fahrtberechtigungen für den öffentlichen Personenverkehr bargeldlos erworben, elektronisch gespeichert und auf elektronischen Medien verwaltet. Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Etablierung von eTicketing-Systemen. Es hat hierzu das Kompetenzcenter Digitalisierung (KCD) eingerichtet, das die Verbünde in NRW u. a. bei der Einführung und Weiterentwicklung elektronischer Ticketing-Systeme unterstützt. Ziel ist es, landesweit einheitliche Lösungen zu entwickeln, die aufgrund gemeinsamer Standards untereinander zusammenarbeiten können.
Ausgangslage
Das elektronische Ticketing wird in drei Entwicklungsstufen unterteilt:
1. Stufe: Bargeldloses Bezahlen
Bargeldloses Bezahlen beinhaltet die Nutzung einer elektronischen Geldbörse und/oder einer personengebundenen Bankkarte für den Fahrscheinkauf. Dieser wird jedoch weiterhin in Papierform ausgegeben. Entsprechend ausgerüstete Verkaufsautomaten (Zahlungsterminals) können sowohl im Fahrzeug als auch stationär vorhanden sein.
2. Stufe: Elektronischer Fahrschein
Wird vom Fahrgast ein elektronischer Fahrschein gelöst, spricht man vom einfachen elektronischen Ticketing. Der Fahrschein wird auf einer Chipkarte oder einem mobilen Endgerät abgelegt und nicht mehr in Papierform ausgegeben. Das elektronische Medium dient dann als Trägermedium für den Fahrschein. In Stufe 2 entsprechen die tariflichen Grundlagen des elektronischen Fahrscheins den Möglichkeiten des Papierfahrscheins (z. B. „Monatskarte“).
3. Stufe: Automatisierte Fahrpreisfindung
Vollständiges elektronisches Ticketing wird auch „E-Tarif“ genannt, da die Fahrpreisfindung nur elektronisch ablaufen kann und der Fahrgast keine Tarifkenntnisse benötigt. Durch aktive An- und Abmeldevorgänge (Check-In/Check-Out) im Fahrzeug bzw. am Bahnsteig oder durch eine automatische Anwesenheitserfassung des Fahrgastes im Fahrzeug (Be-In/Be-Out), wird der Fahrweg festgehalten, der entsprechende Fahrpreis automatisch ermittelt und abgerechnet. Bei der Kombination beider Methoden meldet sich der Fahrgast aktiv an, seine Anwesenheit wird anschließend automatisch erfasst (Check-In/Be-Out). Die 3. Stufe des elektronischen Ticketings ermöglicht unter anderem auch automatische, anonyme Fahrgastzählungen etc.
Zur Erfassung der durchgeführten Fahrten stehen in der 3. Stufe unterschiedliche Medien und Übertragungswege zur Verfügung:
- Kontaktlose Chipkarten – auch Proximity Cards genannt – ermöglichen Datenübertragungen von/zu den Terminals aus unterschiedlichen Entfernungen. Bei kontaktlosen Karten mit RFID-Technologie (engl. Radio-Frequency Identification) können über einen im Medium integrierten passiven Transponder Daten ausgetauscht werden. Je nach eingesetztem Frequenzbereich beträgt die Reichweite bei passiven Transpondern zwischen ca. 50 cm und 6 m. Aktive Transponder mit eigener Stromversorgung besitzen noch höhere Reichweiten, jedoch spielen diese „Wide-Range/Long-Range-Verfahren“ in der Diskussion um Realisierung der 3. Stufe wegen des hohen Energieverbrauchs keine Rolle mehr.
- Aus der RFID-Technologie heraus wurde 2004 der NFC-Standard (engl. „Near Field Communication NFC“) für die Übertragung zwischen 2 Transpondern entwickelt. Ein passiver NFC-Transponder kann, wie bei der RFID-Technologie, z. B. in eine Chipkarte oder ein mobiles Endgerät (z. B. Smartphone) integriert werden. Gegenüber der RFID-Technologie ist die Reichweite der NFC-Technologie auf maximal 10 cm begrenzt, um so, neben der standardisierten Datenverschlüsselung, einen größtmöglichen Datenschutz zu gewährleisten.
- Zunehmend werden auch verbreitete Standard-Technologien von Smartphones eingesetzt, um die Detektion des Nutzers und die Kommunikation mit dem Hintergrundsystem des Ticketing-Systems durchzuführen. Dabei spielt sowohl die Übermittlung von Standortdaten – erfasst durch die Geolokationsfunktionen des Smartphones – oder aber die Erfassung des Endgeräts innerhalb des Fahrzeugs über ein fahrzeugeigenes WLAN oder Bluetooth-Beacon – und die Übertragung dieser Daten über Mobilfunk eine Rolle.
Die technischen Entwicklungen sind in vielen Pilotprojekten getestet und zunehmend in den Regelbetrieb übernommen worden (bargeldloses Bezahlen, Ablegen des Tickets auf einem elektronischen Chip). Deshalb stehen die Möglichkeiten der künftigen Tarifgestaltung, die Akzeptanz der Kundschaft bei Tarifumstellungen, die Benutzerfreundlichkeit sowie die Wirtschaftlichkeit des elektronischen Ticketings immer mehr im Vordergrund.
Akteure
Mit der Entwicklung der VDV-Kernapplikation (VDV-KA) haben der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und seine Mitglieder einen unabhängigen technischen Daten- und Schnittstellenstandard für das elektronische Fahrgeldmanagement (EFM) realisiert und die organisatorischen Voraussetzungen für eine technologieunabhängige und überregional interoperable Anwendung geschaffen. Ziel der Kernapplikation ist es, den Fahrgästen deutschlandweit einen einheitlichen Standard für das elektronische Ticketing zu bieten. Die VDV-Kernapplikation bezieht sich nicht nur auf Chipkarten, sondern auch auf andere Nutzermedien. Einbezogen sind alle drei Stufen des elektronischen Ticketings. Die Entwicklung der VDV-Kernapplikation ist vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert worden.
Die organisatorische Umsetzung der Kernapplikation übernimmt die hierfür gegründete VDV eTicket Service GmbH & Co. KG. Zu ihren Aufgaben gehört u.a. die Applikationsherausgabe einschließlich der Systemakkreditierung und Registrierung, die Zertifizierung von standardkompatiblen Nutzermedien und Systemkomponenten, die Schaffung eines einheitlichen Organisations- und Vertragswerkes, die Beratung und Unterstützung der Verkehrsunternehmen sowie die Vermarktung der VDV-Kernapplikation. Hinzu kommt die Einrichtung eines umfangreichen Sicherheitsmanagements zum Schutz von Kund*innen-, Unternehmens- und Nutzungsdaten, das ständig dynamisch weiterentwickelt wird. Die Vermarktung des interoperablen elektronischen Ticketing nach dem Standard der VDV-Kernapplikation erfolgt in Deutschland unter dem Namen (((eTicketDeutschland. Um einen hohen Wiedererkennungswert bei den Kund*innen zu erreichen, wurden ein einheitliches Erscheinungsbild (urheberrechtlich geschützte Logos und Piktogramme) sowie einheitliche Verfahrensweisen bei der eTicketing-Nutzung eingeführt.
Der 1998 als „Arbeitskreis Kontaktlose Chipkarten für Electronic Ticketing“ gegründete Kontiki e.V. dient als Forum für praxisorientierte Entwicklungen im elektronischen Ticketing, sowohl national als auch international. Zu den Mitgliedern gehören Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünde und Aufgabenträger sowie IT-, Industrie- und Beratungsunternehmen. Kontiki e.V. veranstaltet jährlich Konferenzen zu aktuellen Themen rund um das elektronische Ticketing.
Um die Entwicklung eines interoperablen EFM in NRW zu unterstützen, wurde 2001 beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) im Auftrag des Verkehrsministeriums NRW das Kompetenzcenter Digitalisierung (KCD, bis 2018 Kompetenzcenter Elektronisches Fahrgeldmanagement) angesiedelt. Das Kompetenzcenter unterstützt und berät andere Verkehrsräume in NRW bei der Einführung und Weiterentwicklung eines elektronischen Ticketing-Systems. Hierzu sammelt und verbreitet das KCD Erfahrungen sowie Informationen zum elektronischen Fahrgeldmanagement und arbeitet an den Spezifikationen sowie Standardisierungen für eTickets in NRW mit Orientierung an der VDV-Kernapplikation mit.
Deutschlandweit sind seit Beginn der 90er Jahre zahlreiche Systemansätze getestet bzw. in den Praxisbetrieb eingeführt worden. In NRW können für die drei Entwicklungsstufen beispielhaft genannt werden:
1. Stufe (Bargeldloses Bezahlen):
Das bargeldlose Bezahlen von Fahrscheinen hat insbesondere im Schienenpersonenverkehr sowie beim Verkauf von Zeitkarten in den Kundenzentren der Verkehrsunternehmen oder über Fahrkartenautomaten hohe Verbreitung gefunden und wird vereinzelt auch zum Bezahlen beim Fahrpersonal eingesetzt.
Ein Anwendungsfall im Bereich Bus ist in NRW bei der Regionalverkehr Köln GmbH im Herbst 2023 gestartet. Alle RVK-Fahrzeuge werden sukzessive mit einem Zahlungsverkehrsterminal ausgestattet, an denen Tickets mit Kredit- oder Girokarten bzw. auch per Smartphone bezahlt werden können. Tickets können dort aber auch weiterhin in bar gekauft werden. Das bargeldlose Zahlen ist eine zusätzliche, flexible Zahlungsmöglichkeit.
2. Stufe (Elektronischer Fahrschein ohne Check-In/Check-Out):
In NRW haben die Verbundräume Rhein-Ruhr (VRR) und Rhein-Sieg (VRS) 2003 mit der Einführung von elektronischen Tickets auf Chipkarte für Zeitfahrkarten begonnen. Seit 2007 werden die elektronischen Tickets nach dem deutschlandweiten Standard der VDV-Kernapplikation ausgegeben. Im Aachener Verkehrsverbund (AVV) wurde das elektronische Ticket auf Chipkarte schrittweise ab dem Fahrplanjahr 2018 eingeführt. Im Tarifraum Westfalen werden regional einzelne Zeittickets im Abonnement als elektronische Tickets ausgegeben:
- Beispielsweise haben die Stadtwerke Münster 2012 das elektronische Ticket für Zeitfahrkarten nach der VDV-Kernapplikation eingeführt. 2013 wurden hier zwei viel beachtete Tarif-Innovationen umgesetzt: ein 90-Minuten gültiges Kurzzeit-Ticket sowie das „Flexabo“. Der geringe Einstiegpreis in der Neben- und Schwachverkehrszeit, wobei Fahrten in der Hauptverkehrszeit mit 1,50€ Aufpreis pro Tag möglich sind.
- In Paderborn gibt es mit der smilecard bereits seit April 2003 einen elektronischen Fahrschein im Barfahrausweisbereich. Einzelfahrscheine werden in Form elektronischer Tickets rabattiert. Das hier eingesetzte Verfahren basiert jedoch nicht auf der VDV-Kernapplikation.
Viele Verkehrsunternehmen im VRR und VRS lassen ihre Fahrgäste beim Einstieg durch das Fahrpersonal kontrollieren (kontrollierter Vordereinstieg). In mehreren Pilotversuchen wurde ab 2006 die Kontrolle mit Prüfgeräten im Bus auf Basis der NFC-Technologie getestet. Dabei zeigte sich, dass die Schwarzfahrerquote gesenkt und der Ticketumsatz gesteigert werden konnten. Im Jahr 2008 wurde im VRR der Beschluss gefasst, den elektronisch kontrollierten Vordereinstieg verbundweit einzuführen. Inzwischen sind die Kontrollsysteme flächendeckend aufgebaut. Alle elektronischen Abo-Tickets, Handy- und Online-Tickets werden von den installierten Kartenlesegeräten auf ihre Gültigkeit überprüft.
Die Verkehrsverbünde VRR und VRS und die angehörigen Verkehrsunternehmen haben 2003 zunächst ein proprietäres System zum Datenaustausch von elektronischen Tickets eingeführt. Mit der sukzessiven Umstellung auf den eTicket-Deutschland-Standard wurde die Migration auf das interoperable Sperrlistenverfahren der VDV-Kernapplikation (zentraler Kontroll- und Sperrlistenservice KOSES) vollzogen. Die elektronischen Ticketsysteme des AVV und einzelnen Teilräumen in Westfalen nutzen diese seit ihrer Einführung. Dazu betreiben die Produktverantwortlichen (das sind vor allem die Verbünde und Tarifgemeinschaften) ein sogenanntes PV-System (System für Produktverantwortliche), um die elektronischen Daten auszutauschen. Das KCD hat eine Software für ein sogenanntes mandantenfähiges PV-System als Open-Source-Software entwickelt (eTicketpvmanager), die den EFM-Anwendern in NRW zur Verfügung gestellt wird. Der eTicketpvmanager ist beim VRR und beim WestfalenTarif im Einsatz.
Seit 2010 werden auch Tickets des NRW-Tarifs als elektronische Tickets nach VDV-Kernapplikation ausgegeben (Abo-Tickets sowie SchönesJahrTicket NRW, Schöne60Ticket NRW und SemesterTicket NRW). Seit 2013 werden alle Tickets, die mit einem 2D-Barcode arbeiten, mit dem VDV-Standard versehen.
In der Vergangenheit haben die Produktverantwortlichen jedes Tarifes die Umsetzung von Abbildung und Kontrolle des Tarifs für ihren Tarifraum festgelegt. Mit dem Dokument „Abbildung und Kontrolle der Tarife in NRW“ nach der VDV-Kernapplikation hat das Kompetenzcenter Marketing NRW (KCM) in Zusammenarbeit mit dem KCD 2019 eine gemeinsame Beschreibung aller Tarife in NRW erstellt. Das Dokument wird regelmäßig aktualisiert. Größtenteils handelt es sich um Vereinbarungen zur Vereinheitlichung, die als mittel- bzw. langfristige Ziele definiert und bisher nur in einigen Tarifen umgesetzt sind.
3. Stufe (Elektronischer Fahrschein mit Check-In/Check-Out oder Check-In/Be-Out):
Einige Pilotprojekte zur Erprobung von Check-In/Check-Out Systemen wurden aus unterschiedlichen Gründen eingestellt bzw. nicht in den Regelbetrieb übernommen. So hat der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) ab November 1999 ein vollständiges elektronisches Ticketing (Barfahrausweise) mit einer kontaktlosen Prepaid-Karte (i-Ti) und automatischer Rabattierung in Köln/Bonn auf der Stadtbahnlinie 16 getestet. Das System konnte sich jedoch insbesondere wegen Akzeptanzproblemen bei der manuellen An- und Abmeldung in den Fahrzeugen nicht durchsetzen.
Von 2008 bis 2016 wurde von der Deutschen Bahn AG das auf der VDV-Kernapplikation basierende Pilotprojekt Touch&Travel mit Gültigkeit in allen DB-Fernzügen, in den Nahverkehrszügen ausgewählter Regionen sowie in vielen Verkehrsverbünden betrieben. Das Verfahren basierte auf einem Check-In/Check-Out-Prinzip auf Basis von Mobiltelefonen sowie einer Ortung des Mobiltelefons während der Fahrt. Je nach örtlicher Situation wurden unterschiedliche Technologien für den Check-In/Check-Out-Vorgang genutzt (z. B. Auslesen von so genannten „Touchpoints“ an Fahrkartenautomaten mit aktivem Transponder und NFC-Technologie, Auswertung von 2D-Barcodelabels, Übertragung der Standortkoordinate des Nutzers über Mobilfunk). Die Abrechnung der Fahrpreise entsprechend der Regeltarife der einbezogenen Verkehrsmittel erfolgte über Lastschrifteinzug (post-paid). Das Projekte Touch&Travel wurde 2016 seitens der DB beendet. Die Marktforschung habe ergeben, dass Fahrgäste im Nahverkehr eine App mit Informationen und zusätzlichen Services erwarten, die nur von ihrem lokalen Verkehrsverbund/-unternehmen angeboten werden könne. Den Verkehrsverbünden wurde das Check-in/Check-out-Tool für die Integration in ihren eigenen Apps angeboten.
Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr hat eine Machbarkeitsstudie erstellt, die die Umsetzungsoptionen der automatischen Fahrpreisfindung ("EFM 3") im Verbundgebiet untersucht. Im Feldversuch „nextTicket“ hat der VRR 2018 die Reaktionen der Kund*innen auf die automatische Fahrpreisfindung getestet. Der Check-in/Check-out-Vorgang fand über eine spezielle Smartphone-App statt. Anhand der von der App an das Hintergrundsystem übermittelten Informationen wurde die zurückgelegte Route der Kund*innen mithilfe der Fahrplanauskunft ermittelt. In einer ersten Phase erfolgte die Tarifberechnung anhand des heutigen Tarifs, d.h. die Fahrten wurden als EinzelTickets nach der VRR-Preisstufung berechnet und im Rahmen einer Bestpreis-Abrechnung am Monatsende zu den Tarifprodukten 4er-, 10er- oder 24-StundenTicket zusammengefasst. In Phase 2 fand eine leistungsabhängige Tarifbildung mit einem Grundpreis sowie einem Leistungspreis pro Kilometer bis zu einem Höchstpreis (entspricht einem EinzelTicket der Preisstufe D) Anwendung. Für Vielfahrer wurde eine Rabattierung gewährt, indem jede 5. Fahrt nicht berechnet wurde. Aufbauend auf den gewonnenen Erfahrungen hat der VRR ab Mitte 2020 für rund zwei Jahre mit „nextTicket 2.0“ einen elektronischen Tarif getestet, bei dem der Preis nach Luftlinien-Kilometern berechnet wurde.
Im Verkehrsverbund Rhein-Sieg ist mit dem Pilotprojekt "VRS-eTarif" zwischen April 2019 und November 2021 ein elektronischer Tarif getestet worden, bei dem der Ticketpreis über die Luftlinienentfernung ermittelt worden ist. Der Check-in/Check-out-Vorgang erfolgte über eine spezielle Smartphone-App. Der Fahrpreis setzte sich aus einem Grundpreis pro Fahrt und einem Betrag pro angefangenem Luftlinien-Kilometer zusammen. Im Pilotprojekt lag der Tageshöchstpreis bei 15 Euro. Die entstandenen Kosten wurden täglich abgerechnet.
Erste Erfahrung mit Smartphone basierten Check-in/Be-out-Systemen mit automatischer Fahrpreisfindung („EFM 3“) wurden von nordrhein-westfälischen Verkehrsunternehmen ab 2015 gesammelt. Im Rahmen des Projektes „big bird“ fanden in den Städten Soest und Duisburg in den Jahren 2015 und 2016 erste Feldversuche statt. Der Kreis Soest und die Regionalverkehr Ruhr Lippe GmbH haben sich 2018 entschlossen, das in 2015 durchgeführte CiBo-Projekt als „big bird Westfalen“ wieder aufzugreifen. Das Kerngebiet für das Projekt bilden die Kreise Soest, Hochsauerland und Unna, wo der Test auch aktiv beworben wird. Nutzbar ist das System aber in ganz Westfalen im gesamten ÖPNV. Als erstes Projekt in Deutschland wurde hier ein eTarif im Regelbetrieb angeboten. Entwickelt worden ist ein technisches System auf der Grundlage des nextTickets, welches 2018 im VRR getestet wurde. Die tarifliche Grundlage ist der Westfalentarif mit Bestprice-Abrechnung auf Monatsbasis für Einzel-, 4er und Tagestickets.
Anfang 2021 haben die drei Kooperationsräume go.Rheinland (vorher Nahverkehr Rheinland, NVR), Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) den Auftrag zur Entwicklung eines gemeinsamen Smartphone basierten Ticketing-Systems Check-in/Be-out (CiBo) an die Firma Mentz vergeben. Das technische System wurde als modulare Lösung aufgebaut, die die Verkehrsunternehmen in ihre eigenen Angebote und Smartphone-Applikationen integrieren können (zzt. eingesetzt durch Verkehrsunternehmen im VRR, in Westfalen und im AVV). Der VRS greift für das NRW-weite Ticketing auf ein System zurück, dass bereits ab 2019 im Rahmen einer Entwicklungspartnerschaft von VRS, den Kölner Verkehrs-Betrieben (KVB) und dem Schweizer Anbieter Fairtiq für das Pilotprojekt "VRS-eTarif" entstanden ist.
Parallel zur Realisierung der technischen Systeme haben die Verkehrsverbünde in NRW an der Entwicklung elektronischer, Smartphone basierter Tarife gearbeitet. Diese Tarife sollen zunächst Gelegenheitskund*innen ansprechen. Gebündelt durch die ÖPNV-Digitalisierungsoffensive NRW ist die landesweite eTarif-Lösung „eezy.nrw“ entstanden, die seit Dezember 2021 aktiv ist. Damit gibt es erstmals in NRW einen verbundübergreifenden elektronischen Tarif für Bus und Bahn, bei dem Fahrten per App gebucht und per Luftlinienkilometer abgerechnet werden. Die Systeme von VRS und DB nutzen für die Preisberechnung das KA-Tarifmodul von Fraunhofer-IVI aus Dresden.
Das Deutschlandticket ist im Mai 2023 als digitales Ticket auf den Nutzermedien Chipkarte und Handy-Ticket eingeführt worden. Für den Vertrieb als Handy-Ticket kann der fälschungssichere Ausgabekanal Motics-Ticket (VDV-Barcode mobile+) oder der VDV-Barcode verwendet werden. Hierdurch wird der Anteil der digitalen Fahrtberechtigungen im deutschen ÖPNV erheblich steigen.
Elektronisches Ticketing ist auch im europäischen Ausland weit verbreitet. Dabei sind die Ausgangsvoraussetzungen und Anforderungen an das elektronische Ticketing in den Ländern vielfach sehr unterschiedlich. In den Niederlanden zum Beispiel hat die “OV-Chipkaart” die frühere Strippenkaart abgelöst. Außerdem ist in den letzten Jahren ein ID-basiertes Ticketing-System unter dem Namen “OVpay” eingeführt worden, das zunächst für gelegentliche Fahrten nutzbar ist. Eine Ausweitung auf andere Nutzergruppen ist geplant. Ferner gibt es Projekte für grenzüberschreitende eTicket-Lösungen.
Probleme und Aufgaben
Die VDV eTicket Service GmbH & Co KG als Herausgeberin des (((eTicket-Deutschland, die DB und sechs Nahverkehrsverbünde (HVV, RMV, VBB, VVO, VRR und VVS) haben auf der InnoTrans 2010 mit der Wiesbadener Erklärung eine gemeinsame Verpflichtung zur Einführung von (((eTicket-Deutschland als interoperablen Standard für die großflächige Realisierung des elektronischen Tickets abgegeben. Dies stellt die Voraussetzung für eine konsequente Fortentwicklung / Ausrollung des EFM in größeren Räumen dar (z. B. ganze Bundesländer). Allerdings zeigt sich, dass der damit verbundene Zeitaufwand deutlich größer ist als zuvor angenommen.
Mit der VDV-Kernapplikation setzte der VDV zu Anfang der 2000er-Jahre den Standard für das elektronische Fahrgeldmanagement in Deutschland. Seitdem werden Sicherheit, Performance, Komplexität und Technologie kontinuierlich verbessert. Die Version 3 des offenen Standards unter dem neuen Namen (((etiCORE liegt jetzt vor und wird ab 2026 zur Anwendung kommen. Um die Zusammenarbeit mit Verkehrsunternehmen im benachbarten Ausland sowie mit internationalen Systementwicklern zu vereinfachen, erscheint die kommende Version in englischer Sprache. Das KCD informiert darüber, welche Verbesserungen und Herausforderungen mit der Einführung von (((etiCORE verbunden sind (Die VDV-Kernapplikation wird zu (((etiCORE).
Jüngste Projekte im EFM stützen sich auf die Nutzung von Smartphones zur Realisierung der automatischen Anwesenheitserfassung im Fahrzeug (Be-In/Be-Out) ab. Smartphones sind weit verbreitet und stellen mit ihren verschiedenen drahtlosen Kommunikationstechnologien bereits die notwendige kundenseitige Infrastruktur zur Verfügung. Unter Verwendung des WLAN- oder Bluetooth-Standards könnte sich hier ein alltagstauglicher Weg zur Realisierung der aus Sicht der Kundschaft wünschenswerten automatischen Anwesenheitserfassung im Fahrzeug abzeichnen. Die Realisierung von Be-In/Be-Out-Systemen steht derzeit in NRW nicht im Fokus. Die Technologie bietet aber die Voraussetzung für ein funktionierendes Check-In/Be-Out. Durch das aktive Einchecken bestätigt der Fahrgast den Beginn der Fahrt und willigt somit in den Erwerb einer Fahrtberechtigung ein. Die automatische Abwesenheitserfassung hat Vorteile, da ein aktiver Check-Out häufig vergessen wird und damit zu einem hohen Nachbearbeitungsaufwand führt.
Systembedingt wird bei Verfahren mit automatischer Fahrpreisfindung der Reiseweg der Kund*innen erfasst, gespeichert und verarbeitet. Da es sich hierbei um sensible personenbezogene bzw. personenbeziehbare Daten handelt, ist die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben des Datenschutzes ein ebenso wichtiger Realisierungsbaustein wie die anspruchsvolle technische Realisierung des Verfahrens.
Neben der Entwicklung eines bundesweit einheitlichen EFM-Systems darf nicht die europäische Ebene aus den Augen verloren werden. Insbesondere im grenzüberschreitenden ÖPNV blieben durch inkompatible Systeme Chancen zum Abbau von Grenzbarrieren ungenutzt. Um die verschiedenen nationalen Standards miteinander vereinbar zu machen, wurden verschiedentlich Forschungsprojekte initiiert, u.a das EU-Projekt „Interoperable Fare Management (IFM)“, „European Travellers Club (ETC)“, „Mobility as a Service (MaaS4EU)“ oder „Easy Connect“.
Während ein bisheriger Entwicklungsschwerpunkt des eTicketings in Deutschland maßgeblich auf der technischen Machbarkeit der Systeme lag, wird in zukünftigen Entwicklungsschritten vermehrt die vertrieblich-tarifliche Akzeptanz der elektronischen Systeme bei den Fahrgästen im Vordergrund stehen müssen. So muss sich für die Kund*innen ein eindeutiger, leicht erkennbarer Nutzen ergeben, damit das eTicketing breite Akzeptanz findet. Mangelnde Akzeptanz der Kundschaft stellt insofern einen kritischen Pfad des elektronischen Ticketings gerade im Hinblick auf die Stufe 3 dar (Elektronischer Fahrschein mit Check-In/Check-Out oder Check-In/Be-Out). Beispielsweise sind Sonderangebote für den Freizeitverkehr im Rahmen des heute üblichen „Fencings“ zwischen den Verkehrsmärkten zur Abschöpfung unterschiedlicher Zahlungsbereitschaften bei einer automatisierten Fahrpreiserfassung nur noch sehr eingeschränkt umsetzbar. Für Gelegenheitsnutzende stellt ein spezielles Zugangsmedium („Chipkarte“) eine Barriere dar. Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen, dass die Reaktionen der Fahrgäste erheblich sein können, wenn eine solche Karte für die ÖV-Nutzung mehr oder minder zwingend vorausgesetzt wird.
Es muss ein Kompromiss zwischen den Fahrgastansprüchen und den Bedürfnissen der Verkehrsunternehmen gefunden werden. Die Migration zum elektronischen Ticketing erfordert hohe Investitionskosten, die sich erst langfristig auszahlen (z. B. durch geringere Vertriebskosten, weniger Bargeldhandling, Fälschungssicherheit, Sperrbarkeit von Tickets), und ist daher für die Verkehrsunternehmen mit einem hohen finanziellen Risiko verbunden. Auf der anderen Seite macht es die Einführung des elektronischen Ticketings möglich, neue leistungsgerechte und attraktive Tarife zu entwickeln, die z. B. eine automatisierte Fahrpreisfindung und Best-Price-Regelungen zulassen. Zudem lassen sich sowohl die erforderliche Tarifkenntnis reduzieren als auch der Fahrausweiserwerb vereinfachen und vereinheitlichen.