Kundengarantien
Fahrgäste im NRW-Nahverkehr erwarten zu Recht eine hohe Qualität des Leistungsangebots. Kundengarantien helfen dabei, die Qualität auf einem hohen Niveau zu halten und weiter zu verbessern.
Zu einer hohen Kundenzufriedenheit trägt neben zeitgemäßen Fahrzeugen und Haltestellenausstattungen sowie umfangreichen Informationsangeboten auch eine hohe Betriebs- und Servicequalität bei. Sofern diesbezügliche Qualitätsversprechen nicht eingehalten werden können, bieten die Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen in NRW den Fahrgästen verschiedene Kundengarantien an. Durch Pünktlichkeits-, Anschluss- und Sauberkeitsgarantie sollen die im Einzelfall erfahrenen Qualitätseinschränkungen zumindest teilweise kompensiert werden.
Kundengarantien, wie zum Beispiel die Mobilitätsgarantie NRW, dienen der Qualitätsverbesserung des ÖPNV-Angebotes sowie der Verbesserung der Kundenzufriedenheit und stellen ein gezieltes Marketinginstrument dar.
Ausgangslage
Bereits 2001 hat das Verkehrsministerium NRW mit dem „Masterplan Qualität“ die Initiative ergriffen, die Ansprüche der Fahrgäste auf Qualität im ÖPNV verbindlich zu machen. Im Zuge dieses Masterplans wurden zahlreiche Initiativen, Maßnahmen und ÖPNV-Programme in Nordrhein-Westfalen umgesetzt, um die Qualität für die Fahrgäste deutlich zu verbessern.
Die Definition von Qualitätszielen war ein zentraler Baustein im Masterplan Qualität. Sie sollen die berechtigten Ansprüche der Fahrgäste sichern und gleichzeitig das Angebot der Verkehrsunternehmen kontinuierlich verbessern. Einem Wettbewerb zu Lasten der Qualität wird somit entgegengewirkt.
Die Festlegung von Qualitätszielen zieht einen zweiten Schritt unabdingbar nach sich: Ausgleichsansprüche müssen vereinbart werden für den Fall, dass die Standards nicht erfüllt werden. Gleichzeitig müssen diese Ansprüche für alle Verkehrsunternehmen wirtschaftlich tragbar sein. Sie sind deshalb zwischen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern zu diskutieren und gemeinsam zu vereinbaren.
Vor diesem Hintergrund sind in NRW die im Folgenden aufgeführten Kundengarantien i.d.R. zunächst als Pilotprojekte bei einzelnen Verkehrsverbünden und Verkehrsunternehmen eingeführt worden. Nach einer Testphase sind die Garantien zumeist in den Regelbetrieb übergegangen und auf weitere Räume übertragen worden.
Pünktlichkeitsgarantie/Mobilitätsgarantie
Es wird zwischen Pünktlichkeitsgarantien unterschieden, die sich auf die pünktliche Ankunft am Reiseziel oder auf die pünktliche Abfahrt an der Einstiegshaltestelle beziehen. Die Garantie der pünktlichen Ankunft sichert die gesamte Reisekette ab. Dagegen tritt die Garantie der pünktlichen Abfahrt nur dann ein, wenn das Fahrzeug an der Einstiegshaltestelle bereits eine Verspätung in einer bestimmten Größenordnung aufweist. Wenn die Verspätung erst im Laufe der Reise eintritt, hat der Fahrgast bei dieser Regelung keinen Anspruch auf einen Ausgleich.
Hinsichtlich der Mindestverspätungen, die vorliegen müssen, um überhaupt Ansprüche geltend machen zu können, hat sich in NRW eine Verspätung von 20 Minuten durchgesetzt.
Als Kundenentschädigung im Verspätungsfall werden die "Taxiregelung" und die "GarantieTicket-Regelung" unterschieden:
Die "Taxiregelung" stellt einen unmittelbaren, an der konkreten Verspätungssituation orientierten Ausgleich dar. Hierbei werden im Verspätungsfall Kosten für Taxifahrten oder Sharing-Angebote (wie z. B. Car-, Bike-, E-Tretroller-Sharing) bis zu einem festgelegten Höchstbetrag durch das Verkehrsunternehmen erstattet oder die Nutzung von Fernzügen gestattet.
Bei der "GarantieTicket-Regelung" erhält der Fahrgast zur Kompensation ein Gratisticket. Die Garantieleistung verbleibt im System "ÖPNV", es fließt also kein Geld an Dritte (z.B. Taxiunternehmen). Nachteile besitzt die GarantieTicket-Regelung für Abo-Kund*innen oder Zeitkarteninhaber, für die ein Garantieticket nur einen geringen Nutzen besitzt. Weiterhin bietet das Garantieticket keine akute Hilfestellung in der konkreten Verspätungssituation.
Unter dem Namen „Mobilitätsgarantie NRW“ hat sich letztlich die „Taxiregelung“ NRW-weit etabliert.
Für Taxifahrten oder die Nutzung von Sharing-Angeboten (z.B. Car-/Bike-/E-Tretroller-Sharing, On-Demand-Verkehr) beträgt die Erstattungsobergrenze bei einer Verspätung um 20 Minuten oder mehr tagsüber 30 Euro pro Person, in den Abend- und Nachtstunden (20 bis 5 Uhr) 60 Euro. Für Fahrten in Fernverkehrszügen werden die entstandenen Kosten ohne Begrenzung übernommen.
Seit Einführung der Mobilitätsgarantie Anfang 2010 ist die Zahl der eingereichten Anträge bis 2019 gestiegen. In den Jahren 2020 und 2021 hat die Corona-Pandemie den ÖPNV beeinflusst. Insbesondere Homeoffice, Kurzarbeit und eingeschränkter bzw. stillgelegter Schul- und Hochschulbetrieb haben das Mobilitätsverhalten der Menschen gravierend verändert. So ist die Nachfrage im Vergleich zu den Vorjahren massiv eingebrochen. Demzufolge sank auch die Zahl der eingereichten Anträge im Jahr 2020 deutlich auf rund 10.200 und im Jahr 2021 noch weiter auf knapp über 8.000 Anträge.

Eckdaten zur Mobilitätsgarantie NRW im Jahr 2021:
Etwa 89 Prozent der eingehenden Anträge wurde stattgegeben. In den meisten Fällen sind die Bedingungen der Mobilitätsgarantie vollständig erfüllt. Bei einem kleinen Teil wird die Mobilitätsgarantie aus Kulanz gewährt.
Etwa 11 Prozent der Anträge werden abgelehnt z.B. aufgrund von Verwechselungen mit den nationalen Rechten im Eisenbahnverkehr.
Rund 69 Prozent aller Anträge entstehen durch Verspätungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV), 31 Prozent durch Verspätungen von U-Bahn, Stadtbahn, Straßenbahn und Bus (ÖSPV).
Bei dem Großteil der eingehenden Anträge ist die Fahrt mit Taxi oder Sharing-Angeboten fortgesetzt worden (94 Prozent), nur bei etwa 6 Prozent wurden Fernverkehrszüge für die Weiterfahrt genutzt.
Anschlussgarantie
Verspätungen können auch zum Verlust fahrplanmäßiger Anschlüsse führen und sich dadurch weiter verstärken. Anschlussverluste können - je nach Bedienungshäufigkeit der anschließenden Linie - die fahrplanmäßige Reisezeit im Einzelfall erheblich verlängern. Dies ist besonders bei Linien problematisch, die nur relativ selten verkehren, z.B. im regionalen Busverkehr oder im städtischen Nahverkehr auf tangentialen Linien im Außenbereich.
Die Anforderungen an Verknüpfungen („Anschlüsse”) liegen zunächst in der möglichst weitgehenden betrieblichen Sicherung fahrplanmäßiger Anschlüsse. Dies geschieht z.B. durch gezielte Information des Fahrpersonals über bestehende bzw. abzuwartende Anschlüsse oder durch Integrierte Betriebsleitsysteme (ITCS).
Für Anschlüsse, die trotz betrieblicher Anschlusssicherung nicht herstellbar sind, müssen den betroffenen Fahrgästen Ersatzlösungen geboten werden, damit sie ihr Fahrziel in angemessener Zeit erreichen können. Im Rahmen der „Anschlussgarantie” ist hier die Nutzung eines Taxis eine praktikable Lösung. Da die Anschlusssicherheit neben der Pünktlichkeit einen großen Einfluss auf die Zufriedenheit der ÖPNV-Kund*innen hat, steigert die Anschlussgarantie maßgeblich das Qualitätsempfinden der Kund*innen.
Sauberkeitsgarantie
Über Garantien zur Pünktlichkeit und Anschlusssicherung hinaus bieten einzelne Verkehrsunternehmen ihren Kund*innen auch eine Sauberkeitsgarantie an. Im Falle einer Verschmutzung der Kleidung an der Haltestelle oder im Fahrzeug erstattet das Verkehrsunternehmen die Reinigungskosten bis zu einem festgelegten Höchstbetrag. Die Garantie gilt nicht, wenn die Kleidung durch Dritte, beispielsweise andere Fahrgäste, verschmutzt wurde.
Akteure
Das Verkehrsministerium des Landes NRW hat die Pilotprojekte zur Pünktlichkeitsgarantie im Rahmen des Masterplans Qualität initiiert. Von Beginn an (1. Juni 2002) beteiligt waren der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR), der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) und der Aachener Verkehrsverbund (AVV) sowie die Verkehrsunternehmen der WVG-Gruppe, Münster (Regionalverkehr Münsterland/RVM, Regionalverkehr Ruhr-Lippe/RLG, Verkehrsgesellschaft Kreis Unna/VKU).
Im Laufe der Jahre haben andere Verkehrsunternehmen ebenfalls eine Pünktlichkeitsgarantie eingeführt. Bereits von Anfang an beteiligte Verbünde und Unternehmen haben ihre Pünktlichkeitsgarantie zum Teil ausgeweitet oder verändert. Verschiedene Verkehrsunternehmen haben ein Pünktlichkeitsversprechen eingeführt, das bereits ab einer Verspätung von mehr als zehn Minuten an der Zielhaltestelle gilt (z.B. Duisburger Verkehrsgesellschaft AG (DVG), Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21), Regiobahn Fahrbetriebsgesellschaft mbH (Regiobahn)).
Auf eine landesweit einheitliche Ausgleichsregelung im Verspätungsfall hat das Verkehrsministerium mit der Umsetzung der Mobilitätsgarantie NRW zum 1. Januar 2010 hingewirkt.
Die im Rahmen des „Landesprogramms für Sicherheit und Service” durch das Verkehrsministerium NRW geförderten Pilotprojekte der WVG-Gruppe (seit 2002) und der Rheinbahn (seit 2003) zur Anschlussgarantie sind in den Regelbetrieb übernommen worden. Die Anzahl der gesicherten Anschlussbeziehungen ist zwischenzeitlich deutlich ausgeweitet worden. Auch andere Verkehrsunternehmen haben das erprobte Konzept zur Anschlussgarantie aufgegriffen. Hierzu gehören z.B. die Bochum Gelsenkirchener Straßenbahn AG (BOGESTRA), die Stadtwerke Münster GmbH und die Wuppertaler Stadtwerke AG (WSW).
Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) beschäftigt sich im Arbeitskreis „Verlässlicher ÖV“ u.a. mit den Themen Pünktlichkeit und Anschlusssicherung. In der Empfehlung (FGSV 166 "Empfehlungen für einen verlässlichen öffentlichen Verkehr", 2017) werden die Anforderungen an einen verlässlichen ÖPNV beschrieben, wobei die Sichtweise der Kund*innen und ihre Erwartungen im Mittelpunkt stehen.
Das Kompetenzcenter Marketing NRW (KCM) lässt alle 2 Jahre die Zufriedenheit der Nahverkehrskund*innen in NRW ermitteln. Die Studien „NRW-Kundenbarometer“ stehen hier zum Download bereit.
Probleme und Aufgaben
Die landesweite Verbreitung einer einheitlichen Pünktlichkeitsgarantie in NRW konnte im Jahr 2010 mit der Mobilitätsgarantie NRW erreicht werden. Die vorher bereits realisierten Pilotprojekte zur Pünktlichkeitsgarantie hatten sich zwar zu Regelangeboten entwickelt, auch neue Angebote waren hinzugekommen. Jedoch bestand keine flächendeckende Ausgleichsregelung. Zudem wichen die einzelnen Garantien voneinander ab. Durch die Mobilitätsgarantie NRW wird den Kund*innen seit 2010 eine NRW-weit einheitliche „Benutzeroberfläche“ des NRW-Nahverkehrs geboten. Die Mobilitätsgarantie gilt innerhalb aller vier nordrhein-westfälischen Verbund- und Gemeinschaftstarife sowie im NRW-Tarif. Lediglich der PaderSprinter (Buslinien im Raum Paderborn) wendet die Mobilitätsgarantie NRW bislang nicht an. Seit Mai 2022 ist der Antrag für die Erstattung der Mobilitätsgarantie auch online möglich.
Ausgleichsregelungen wie Pünktlichkeits-, Anschluss- und Sauberkeitsgarantie bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen konkreter Qualitätsverbesserung der „Dienstleistung ÖPNV“ einerseits und aktivem ÖPNV-Marketing andererseits. Die Garantien stärken das Vertrauen der Fahrgäste gegenüber der ÖPNV-Dienstleistung und schaffen ein für alle Fahrgäste leicht verständliches, formalisiertes und gerechtes Verfahren. Hierdurch werden die vielfach praktizierten Kulanzleistungen der Verkehrsunternehmen in ein transparentes und offensives Marketinginstrument überführt. Die klaren Verfahrensregeln tragen auch dazu bei, dass die Auswirkungen der Garantieleistungen für die Verkehrsunternehmen kalkulierbar werden und der Bearbeitungsaufwand begrenzt wird.
Kundengarantien sind vor allem ein Marketing-Instrument. Durch Lösungen wie z.B. die Mobilitätsgarantie kann Kund*innen im Einzelfall geholfen werden. Sind jedoch sehr viele Kund*innen betroffen, beispielsweise bei Zugausfall, kann die Mobilitätsgarantie auch an ihre Grenzen stoßen, z.B. wenn am Standort keine bzw. nicht ausreichend Taxen zur Verfügung stehen. In anderen Fällen kommen die Fahrgäste mit der Erstattungssumme nicht bis an ihr beabsichtigtes Ziel. Auch ist vielen Kund*innen das Risiko, keine Rückerstattung zu erhalten, zu hoch und sie verzichten auf eine Weiterfahrt mit Taxi oder Fernverkehr. In der Vergangenheit hat sich aber gezeigt, dass die Mobilitätsgarantie bei punktuellen bzw. temporären Betriebsproblemen nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Anträge führt. Sie scheint tolerant gegenüber betrieblichen Ausnahmesituationen zu sein. Erstattungsregelungen sind also eher eine Regelung für Einzelfälle.
Ein Rechtsanspruch der Fahrgäste auf die Ausgleichsleistung im Rahmen einer Kundengarantie besteht nur, wenn die Regelungen in die Beförderungsbedingungen aufgenommen wurden. Dies ist z. B. für die Mobilitätsgarantie NRW der Fall (Beförderungsbedingungen für die Verbund- und Gemeinschaftstarife in NRW sowie den NRW-Tarif). Garantieleistungen, die nicht in den Beförderungsbedingungen hinterlegt sind, stellen freiwillige Kulanzregelungen der Verkehrsunternehmen dar und sind somit rechtlich unverbindlich.