Der ÖPNV hat eine Hauptaufgabe: Bürger*innen mobil zu machen. Bundes- und Landesgesetze stellen dies sicher.
Das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) bezieht sich auf das gesamte öffentliche Nahverkehrsangebot auf den Straßen. Das Allgemeine Eisenbahngesetz (AEG) betrifft ausschließlich den Eisenbahnverkehr. Diese zwei Gesetze regeln größtenteils die unternehmerischen und wettbewerbsrechtlichen Aspekte für die Betreibenden von Nahverkehrsangeboten.
Die politische Verantwortung und die Finanzierung des ÖPNV-Angebots werden durch das Regionalisierungsgesetz des Landes geregelt: das Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen (ÖPNVG NRW).
Ausgangslage
Die Unternehmenslandschaft in NRW
Die ÖPNV-Unternehmenslandschaft in NRW ist mit ihren knapp 130 Verkehrsunternehmen relativ heterogen:
Rund 15 Eisenbahnverkehrsunternehmen erstellen die SPNV-Leistungen in NRW (vollständige Liste der Bahnunternehmen siehe Tabellen und Übersichten zum ITF),
gut 20 kommunale Verkehrsunternehmen bedienen die Großstädte (ab 100.000 Einwohner) und z.T. auch ihr unmittelbares Umland mit Stadt- und Straßenbahnen und/oder mit Bussen,
weitere 20 kommunale Verkehrsunternehmen führen Stadtbusverkehre in Mittel- und Kleinstädten durch,
ca. 20 Regionalverkehrsunternehmen, zumeist aus ehemaligen Klein- oder Überlandstraßenbahnbetrieben hervorgegangen und überwiegend im Eigentum der Kommunen (oft der Kreise), betreiben sowohl den Städte verbindenden Busverkehr in der Region als auch Stadt- und Ortsverkehre im ländlichen Raum,
die 3 Busgesellschaften des DB-Konzerns (ehem. Bahn- bzw. Postbus) erschließen mit ihren Buslinien insbesondere die ländlichen Räume mit regionalen Linien,
ungefähr 35 private Busunternehmen, darunter sowohl regionale Tochterunternehmen großer Verkehrskonzerne als auch mittelständische Busunternehmer, betreiben einzelne Buslinien mit eigener Konzession, zumeist in ländlichen Räumen,
weitere rund 15 Verkehrsunternehmen mit Sitz außerhalb von NRW verkehren über die Landesgrenzen zu Zielen in Nordrhein-Westfalen.
Bildung von ÖPNV-Kooperationen in NRW
Um die historisch gewachsene ÖPNV-Landschaft den verkehrlichen Anforderungen der Nahverkehrskund*innen anzupassen, hat das Verkehrsministerium NRW bereits in den 1970er Jahren im Zusammenwirken mit den Regionen auf die Abgrenzung von so genannten ÖPNV-Kooperationsräumen hingewirkt. Ziel der Bemühungen war es, in allen Teilräumen des Landes unternehmensübergreifende Tarife und einen koordinierten Marktauftritt des gesamten ÖPNV-Angebotes (Liniennetz, Erscheinungsbild, Marketing) in einer Region zu schaffen sowie volkswirtschaftlich wenig sinnvolle Parallelverkehre und gegenseitige Bedienungsverbote abzubauen. 1974 wurden neun Kooperationsräume abgegrenzt, in denen in den 1970er- und 1980er-Jahren drei Verkehrsverbünde und mehrere Verkehrsgemeinschaften eingerichtet wurden.
Die Verkehrsverbünde, organisiert nach dem so genannten 3-Ebenen-Modell, stellen eine sehr weitgehende Kooperationsform im ÖPNV dar, die
- die politische Verantwortung der Gebietskörperschaften für den ÖPNV (Politikebene),
- die unternehmensübergreifende Koordinierungs- und Planungsorganisation (Management- oder Regieebene) sowie
- die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Verkehrsunternehmen (Betreiberebene)
in ein Verbundkonstrukt einbindet. Die drei Verbünde in NRW (Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, VRR, Verkehrsverbund Rhein-Sieg, VRS, Aachener Verkehrsverbund, AVV) – zunächst als Unternehmensverbünde (d.h. die Verkehrsunternehmen als Gesellschafter des Verbunds) gegründet – wurden ab Anfang der 1990er-Jahre umstrukturiert zu so genannten Aufgabenträgerverbünden, d.h. die Gebietskörperschaften des Verbundraums wurden anstelle der Verkehrsunternehmen zu Anteilseignern der Management-Gesellschaft. Der SPNV wurde von Beginn an in das Verbundverkehrsangebot einbezogen, so dass der Verbundtarif im gesamten ÖPNV-Angebot der Region angewendet wurde.
Verkehrsgemeinschaften sind freiwillige Kooperationen aller Verkehrsunternehmen einer Region mit einem gemeinsamen Tarif, koordinierter Fahrgastinformation und Marketing, jedoch in der Regel ohne eigenständige Rechtskörperschaft (z. B. Management-Gesellschaft). Der SPNV wurde zumeist nicht in die Verkehrsgemeinschaften integriert, so dass für den Busverkehr (jeweiliger Tarif der Verkehrsgemeinschaft) und den Schienenpersonennahverkehr (Eisenbahntarif) unterschiedliche Tarife galten. Eine detaillierte Übersicht zeigen die Grafiken „Entstehung und Entwicklung der Verkehrsverbünde und -gemeinschaften in NRW (PDF)“.
Die Regionalisierung
Zum 1. Januar 1996 wurde den Ländern die Verantwortlichkeit für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) vom Bund übertragen. Zeitgleich erhielten die Länder die Aufgabe, die für Planung, Organisation und Ausgestaltung des öffentlichen Straßenpersonenverkehrs (ÖSPV) zuständige Behörde („Aufgabenträger“) im Landesrecht zu regeln. Dieser Neuordnungsprozess wird allgemein als „Regionalisierung des ÖPNV“ bezeichnet. So weist das ÖPNVG NRW den Kreisen und kreisfreien Städten die Aufgabenträgerschaft für den ÖSPV zu. Die in NRW bereits vorliegende Abgrenzung der ÖPNV-Kooperationsräume eröffnete die Möglichkeit, die Aufgabenträgerschaft für den SPNV und für den ÖSPV auf der Ebene der Kommunen zu bündeln, so dass das Nahverkehrsangebot vor Ort in den Regionen gemeinsam geplant und gestaltet werden konnte. Hierzu sah das ÖPNVG die Bildung von zunächst neun Zweckverbänden als Zusammenschlüsse der Kreise und kreisfreien Städte in den Grenzen der Kooperationsräume vor, um die Verantwortung für den SPNV auf kommunaler Ebene wahrzunehmen.
Während in den Verbundräumen VRR, VRS und AVV bereits eine Zweckverbandstruktur als Träger des Aufgabenträgerverbunds etabliert war, waren in den übrigen Räumen neue Strukturen für die Wahrnehmung dieser Aufgaben zu schaffen. Die Bildung von Verbundstrukturen konnte dabei nicht erreicht werden, so dass eine institutionelle Trennung zwischen SPNV-Aufgabenträgerschaft (Zweckverband der Kommunen) und Trägerorganisation des Gemeinschaftstarifs (Verkehrsgemeinschaft der Verkehrsunternehmen) auf Kooperationsraumebene erhalten blieb.
Auch in tariflicher Hinsicht hat die Regionalisierung zu Veränderungen in NRW geführt. So machte das ÖPNVG die Mitwirkung der Verkehrsunternehmen an einem Bus-Schiene-Gemeinschaftstarif zur Voraussetzung für die Förderung von Fahrzeugbeschaffungen. Durch diese Bindung wurde erreicht, dass zum Sommer 2000 auch außerhalb der drei Verkehrsverbünde die vorhandenen Verkehrsgemeinschaften neu geordnet und um das SPNV-Angebot erweitert wurden.
Die Kooperationsräume waren seinerzeit ohne Berücksichtigung des SPNV mit seinen erheblich höheren Reiseweiten festgelegt worden. Da sachgerechte Entscheidungen im SPNV durch größere Kooperationsraumzuschnitte erleichtert werden, sieht das ÖPNVG NRW im Zuge eines Neuordnungsprozesses zum 1. Januar 2008 die Reduzierung der bisherigen neun Räume auf nunmehr drei Kooperationsräume vor:
- Kooperationsraum A: Kooperationsraum 1 (Rhein-Ruhr) + Kooperationsraum 9 (Niederrhein)
- Kooperationsraum B: Kooperationsraum 2 (Rhein-Sieg) + Kooperationsraum 3 (Aachen)
- Kooperationsraum C: Kooperationsraum 4 (Ruhr-Lippe) + Kooperationsraum 5 (Münsterland) + Kooperationsraum 6 (Ostwestfalen) + Kooperationsraum 7 (Paderborn/Höxter) + Kooperationsraum 8 (Westfalen-Süd)
Akteure
Mit der Regionalisierung des ÖPNV 1996 hat das Land Nordrhein-Westfalen die Aufgabenträgerschaft, d.h. die „politische“ Verantwortung für die Planung, Organisation und Ausgestaltung des ÖPNV auf die Ebene der Kreise und kreisfreien Städte übertragen. Hierzu haben die Kreise und kreisfreien Städte in jedem Kooperationsraum einen Zweckverband für die Planung, Organisation und Ausgestaltung des SPNV gegründet.
Auf Grundlage der gesetzlichen Vorgabe haben die Kommunen zum 1. Januar 2008 neue Strukturen für die Aufgabenträgerschaft im SPNV in den vorgegebenen drei Räumen etabliert:
Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR (VRR): Der Nahverkehrszweckverband Niederrhein wurde zum 1. Januar 2008 neben dem Zweckverband VRR zum Träger der VRR AöR.
Zweckverband go.Rheinland (vorher Nahverkehr Rheinland, ZV NVR): Die Zweckverbände Verkehrsverbund Rhein-Sieg und Aachener Verkehrsverbund bilden einen gemeinsamen Dach-Zweckverband. Zur Durchführung der Aufgaben ist die „Nahverkehr Rheinland GmbH“, heute „go.Rheinland GmbH“, gegründet worden.
Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL): Die vorherigen Zweckverbände in Westfalen (ZV SPNV Ruhr-Lippe, ZV SPNV Münsterland, ZV Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe, ZV Nahverkehrsverbund Paderborn/Höxter, ZV Personennahverkehr Westfalen-Süd) bilden einen gemeinsamen Dach-Zweckverband mit differenzierter Aufgabenaufteilung auf die bestehenden Geschäftsstellen der Zweckverbände.
Für den ÖSPV mit U-, Stadt- und Straßenbahnen oder Bussen sind die Kreise und kreisfreien Städte als Aufgabenträger verantwortlich. Entsprechend gibt es insgesamt 54 planungspflichtige Aufgabenträger in NRW. Verschiedentlich haben die Aufgabenträger – wie nach dem ÖPNV-Gesetz NRW möglich – ihre Aufgabenträgerschaft bzw. Planungs- und Organisationsaufgaben an den jeweiligen Zweckverband delegiert (z. B. die Kreise Paderborn und Höxter an den durch beide Kreise gebildeten Zweckverband Nahverkehrsverbund Paderborn/Höxter, NPH, der Kreis Gütersloh an den Zweckverband Verkehrsverbund Ostwestfalen-Lippe, VVOWL, die Kreise Siegen-Wittgenstein und Olpe an den Zweckverband Personennahverkehr Westfalen-Süd, ZWS), oder sie haben kreisweite Managementgesellschaften gebildet, die die Planung und Organisation des ÖPNV unterstützen (u.a. Kommunale Verkehrsgesellschaft Lippe mbH, KVG Lippe, Mindenherforder Verkehrsgesellschaft mbH, MHV).
Die Ebene der tariflichen Koordinierung und des gemeinsamen Marketings wird durch die Verbundgesellschaften und Verkehrsgemeinschaften ausgefüllt, die sich bis Ende Juli 2017 an den Kooperationsraumstrukturen der 70er-Jahre und seit August 2017 weitgehend an den seit 2008 gültigen ÖPNV-Kooperationsräumen orientieren:
Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR (VRR): VRR-Tarif
Verkehrsverbund Rhein-Sieg GmbH (VRS): VRS-Tarif
Aachener Verkehrsverbund GmbH (AVV): AVV-Tarife
WestfalenTarif GmbH: WestfalenTarif
Da die Festlegung der Tarife direkten Einfluss auf die Einnahmesituation der Verkehrsunternehmen besitzt, sind die Verkehrsunternehmen entweder durch Unternehmensbeiräte innerhalb eines Verkehrsverbundes oder aber als Partner einer Verkehrsgemeinschaft bzw. einer privatrechtlichen Trägerorganisation direkt an der Tariffestlegung beteiligt. Vielfach besteht jedoch gerade im SPNV die Situation, dass nicht das Verkehrsunternehmen selbst erlösverantwortlich ist, sondern die Fahrgeldeinnahmen dem jeweiligen Auftraggeber (SPNV-Aufgabenträger) der erbrachten Leistung zustehen. Diese abweichende Rollenverteilung muss das Organisationsmodell der betreffenden Räume zur Wahrung ausgewogener Entscheidungsstrukturen gesondert berücksichtigen.
Probleme und Aufgaben
Der Schienenpersonennahverkehr macht nur in seltenen Fällen an den Grenzen der Kooperationsräume Halt. So hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass die Sicherung und Weiterentwicklung eines überregionalen SPNV-Netzes einer Zusammenarbeit zwischen Land und Zweckverbänden bedarf, um den Rückzug des Schienenfernverkehrs aus dem Regionen verbindenden Verkehrsmarkt außerhalb der Ballungsräume zu kompensieren. Hierzu sieht das ÖPNVG das „SPNV-Netz von besonderem Landesinteresse“ vor, das diese Belange sicherstellen soll.
In der landesweiten Zusammenarbeit der Regionen untereinander und mit dem Land sind belastbare Organisationsformen unerlässlich, um anstehende Zukunftsaufgaben sowohl im Bereich des SPNV-Managements als auch anderer Felder des ÖPNV (z. B. Fahrgastinformation, Vertrieb) zu lösen. Hierzu hat sich die freiwillige Zusammenarbeit zwischen Land, SPNV-Aufgabenträgern, Verbünden/Verkehrsgemeinschaften sowie Verkehrsunternehmen in landesweiten Arbeitskreisen zu verschiedenen Themenfeldern mit fachlicher Koordination durch das jeweilige Kompetenzcenter bewährt.
Gleichzeitig müssen die Organisationsformen innerhalb der Kooperationsräume eine konstruktive und rechtssichere Zusammenarbeit zwischen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen sicherstellen, um sowohl aufgabenträger- als auch unternehmensnahe Aufgabenstellungen der ÖPNV-Organisation zum Wohl der ÖPNV-Kund*innen zu lösen. Hier ist die stärkere Verzahnung des operativen Tagesgeschäfts zwischen den Aufgabenträgerstrukturen und den Unternehmensstrukturen insbesondere in Räumen ohne Verbundkonstruktion weiter auszubauen.
Mit dem ÖPNVG NRW wirkt das Land NRW auf eine Zusammenfassung der ursprünglich neun, jetzt vier Tarifräume zu drei Räumen hin, in denen die Angebotsausgestaltung, Tarif- und Vertriebsfragen und Fahrgastinformation mit einem einheitlichen Kund*innenauftritt koordiniert werden:
- Im Kooperationsraum A Rhein-Ruhr ist mit der Ablösung des VGN-Tarifs durch einen erweiterten VRR-Tarif zum 1. Januar 2012 der erste Schritt zur Reduzierung der Anzahl der Tarifräume erfolgt.
- Im Kooperationsraum B Rheinland ist 2015 ein durchgängiger Nahverkehrs-Tarif für Fahrten zwischen dem Verkehrsverbund Rhein-Sieg und dem Aachener Verkehrsverbund eingeführt worden. Die Basis dafür bildet der VRS-Tarif, der zur Abdeckung der größeren Distanzen im Kooperationsraum um die Preisstufen 6 und 7 erweitert wurde. Die bestehenden Verbundtarife von VRS und AVV bleiben zunächst bestehen. VRS und AVV beabsichtigen jedoch, die tarifliche und vertriebliche Zusammenarbeit weiter auszubauen. Die Zusammenführung von VRS- und AVV-Tarif wird angestrebt. Die Verschlankung der tariflichen Angebotsvielfalt soll in Abstimmung mit den anderen Tarifräumen erfolgen. Hintergrund hierfür ist u.a. die Einführung des Deutschland-Tickets, für das keine Tarifkenntnisse notwendig sind und das in vielen Fällen ein günstigeres Angebot im Vergleich zu den Verbundtarifen darstellt.
- Im Kooperationsraum C Westfalen-Lippe ist zum 1. August 2017 der WestfalenTarif gestartet. Mit der Einführung des westfälischen Gemeinschaftstarifs bleibt die Preisgestaltung für die Stadtpreisstufen und die Preisstufen 0 bis 5 bei den bisherigen Tarifräumen, ab der Preisstufe 6 gelten einheitliche Preise.